21 Zoll Vorderrad, ordentliche Federwege und 25 Kilo weniger als das Vorgänger-Modell: So will Triumph mit der neuen Tiger 1200 Rally Pro auch die Offroadfreaks erreichen. Wolf hat sie in Portugal einen Tag lang auf unbefestigten Wegen auf Herz und Nieren geprüft, dabei nicht nur sich und das Motorrad schmutzig gemacht, sondern seine anfängliche Skepsis zumindest ein ordentliches Stück weit zur Seite gelegt.
Wieviel Enduro steckt in der neuen Oberklasse-Reiseenduro von Triumph? Um das herauszufinden, haben wir uns die Tiger 1200 in der Rally-Pro-Variante geschnappt und im Hinterland der portugiesischen Algarve den Asphalt einen Tag lang komplett links liegen lassen. Denn dort wimmelt es nur so an unbefestigten Wegen, die gerade nach den kräftigen Regenfällen in den Tagen davor mitunter durchaus tückisch werden können. Wer das Vorgänger-Modell, die Tiger 1200 XCA, kennt, der schätzt diese vielleicht als wunderbares Reisemotorrad mit einem Laune machenden Triple, aber kaum wegen ihrer Offroad-Qualitäten. Das ist jetzt schon vom ersten Auftritt ganz anders. Denn mit 21 Zoll vorne und 18 Zoll hinten sprechen die Raddimensionen Enduro, die Federwege von 220 Millimeter vorne und hinten schreien ebenfalls nach ruppigen Passagen. Bleibt noch das Gewicht von 249 Kilo vollgetankt als Hemmschuh, auch wenn dies 25 Kilo weniger als beim Vorgänger sind und weniger ist, als eine vergleichbar ausgestattete BMW R1250 GS auf die Waage bringt bzw. nur fünf Kilo mehr wie die KTM 1290 Super Adventure R. Und die gilt ja als die geländegängigste unter den großen Power-Reiseenduros.
Also nicht lange nachdenken, losfahren! Schließlich waren die Triumphler so nett und haben die Bikes statt mit dem serienmäßigen Metzeler Karoo Street mit dem Michelin Anakee Wild an den Speichenfelgen bestückt: Ein Gummi, mit dem schon ein bisserl was geht abseits der befestigten Wege. Der britische Guide von der Triumph Adventure Riding Experience in Wales biegt auch gleich auf den ersten Schotterweg ab, das Motorrad fühlt sich handlich an, man wähnt sich fast auf der 900 Rally Pro, die dem Schreiber dieser Zeilen schon viel Spaß bereitet hat, von Marokko bis ins Friaul. Zumindest so lange, bis man zum ersten Mal energisch am Gashahn dreht. Denn die 150 PS des T-Plane-Reihendreizylinders reißen schon ganz anders an und sorgen für ein breites Grinsen unterm Helm. Oder auch für Schweißperlen, je nachdem wie Offroad-Affin man eben ist. Jedenfalls verlangt das auf Schotter schon nach einer gefühlvollen Gashand. Speziell wenn der Offroad-Pro-Fahrmodus aktiviert ist, der den Modellen Rally Pro und Rally Explorer (mit dem 30 Liter Tank) vorbehalten ist. Da sind ABS und Traktionskontrolle vollständig deaktiviert, sollte man schon wissen, was man macht.
Und trotzdem hat dieser Motor, der unten raus immer Traktion satt bietet, durchaus etwas Einsteigerfreundliches. Weil er so schaltarm gefahren werden kann, lässt sich von der Schotterkehre bis zum ambitionierten Hunderter alles im dritten Gang machen. Speziell Offroad-Novizen werden es genießen, sich bei kniffligen Passagen nicht auch noch groß auf die Gangwahl konzentrieren zu müssen, die übrigens serienmäßig per Quickshifter von statten geht. Wobei auf diesem Motorrad der normale Offroad-Modus in den meisten Fällen die bessere Wahl sein wird, so man nicht auf der Flucht ist oder extrem steile Auf- und Abfahrten zu bewältigen hat. Da ist das ABS nur am Hinterrad deaktiviert, während es vorne leicht regelt, die ebenfalls nur dezent eingreifende Traktionskontrolle lässt Powerslides zu und sträubt sich auch nicht gegen die meisten steileren Auffahrten. Davon waren auf unserer Runde durchaus einige dabei, ebenso ein paar gröbere Pisten mit großen Steinen, kleinere Wasserdurchfahrten sowie der eine oder andere nicht allzu schwere Singletrail.
Die elektronische Dämpfung arbeitet wie bei allen Tiger-1200-Modellen serienmäßig semiaktiv, im Offroad-Modus ist sie recht komfortabel auf Stufe 5 von 9 eingestellt, im Offroad-Pro-Modus um einiges härter (Stufe 8), beides lässt sich aber mit wenigen Handgriffen am linken Lenker individuell anpassen und am großen, 7-Zoll-TFT-Farbdisplay ablesen. Natürlich wird man immer darüber diskutieren können, ob man ein semiaktives Fahrwerk braucht, KTM etwa bietet es nur in der straßenorientierten Super Adventure S und verzichtet in der R darauf, eines ist aber unbestritten: Man merkt den Unterschied speziell auf rumpeligen Wegen, der sich eben auf Knopfdruck realisieren lässt. Und wenn man etwa über einen Hügel springt, erkennt das System binnen Millisekunden, dass die Räder in der Luft sind und stellt Gabel sowie Federbein für die Landung augenblicklich härter ein - mit konventionellen Fahrwerken natürlich nicht möglich.
Abgesehen davon, dass ich 249 Kilo im Fall des Falles, der Offroad eben nie ganz auszuschließen ist, immer noch nicht aufheben möchte, sind Kritikpunkte nach dieser ersten Ausfahrt schwer zu finden. Vielleicht noch der "Höcker", den der recht hohe Soziussitz macht, weil dies sportliches Fahren bzw. Zurückrutschen auf der Sitzbank einschränkt. An der anderen Hand würde eine gerade Sitzbank die ohnehin schon stattliche Sitzhöhe von 875 bis 895 Millimeter weiter erhöhen und sich dann nur noch Zwei-Meter-Lackeln auf dem Motorrad wohlfühlen. Wobei die im vorderen Sitzbereich recht geringe Schrittbogenlänge die Triumph Tiger 1200 Rally Pro auch mit 1,75 Meter Körpergröße gut fahrbar macht.
Gut gebrüllt, Tiger! Dass die neue Triumph Tiger 1200 in der Rally-Pro-Version ihr Vorgängermodell Offroad klar in den Schatten stellt, muss nicht wirklich erwähnt werden, die Skepsis, die mich aufgrund der Erinnerung an eben dieses nach Portugal begleitete, war rasch verflogen. Aber sie hat vielmehr den Sprung in die Reihe der Klassenbesten unter den großen Power-Reiseenduros geschafft. Und sie bietet aktuell als einzige Kardan-Enduro 21/18-Zoll-Raddimensionen, mit denen man ganz einfach ruhiger über grobes Terrain rollt.
Fazit: Triumph Tiger 1200 Rally PRO Die Zeiten, in denen man mit der großen Triumph umdrehte oder zumindest ein unbehagliches Gefühl im Magen mitfuhr, sobald die Straße unter den Rädern ausging, waren einmal. Es macht vielmehr Spaß und ich fühlte mich auf all den gefahrenen Wegen nicht eine Sekunde unwohl. Wer wirklich regelmäßig richtig harte Sachen angehen möchte, für den wird womöglich die doch um rund 25 Kilo leichtere 900 Rally Pro der noch passendere Begleiter sein. Aber auch mit der 1200 Rally Pro hat Triumph jetzt einen Tiger im Stall, der einen nicht nur so ziemlich überall hinbringen wird, sondern dabei auch jederzeit Kraft im Überfluss hat, um bei Bedarf seine Krallen zu zeigen.
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